Welche Fähigkeiten muss ein Dirigent oder eine Dirigentin beherrschen, um eine große Anzahl an Musikern mit ihren Instrumenten zum Klingen zu bringen? Welchen Stellenwert hat Üben? Und was hat psychologische Sicherheit sowohl in einem Orchester als auch in einem Unternehmen für einen Einfluss auf das Miteinander? Führungsfragen und Führungserleben stehen im Fokus des Liz Mohn Centers, das zugleich die Perspektiven von Politik, Kultur und Wirtschaft miteinander verbinden will.
In der Manfred-von-Richthofen Kaserne in Münster wurden Führungskräfte aus dem Netzwerk des Liz Mohn Centers beim Workshop „Kunst der Führung – Führung der Kunst“ ins kalte Wasser geschubst und hatten die einmalige Gelegenheit, das Dirigieren des Luftwaffenmusikkorps Münster zu übernehmen. Ziel der Veranstaltung „Kunst der Führung – Führung der Kunst“ war es, Aspekte eines modernen Verständnisses von Führung zu verdeutlichen und neue Perspektiven aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu vereinen. Die Führungskräfte stammten aus ganz unterschiedlichen Organisationen und Branchen und schlüpften nach und nach in die Rolle des Dirigenten bzw. der Dirigentin. Dass der Klang von Carl Orffs Camina Burana selbst bei einem professionell arbeitenden Orchester stärker von der Leistung einer Führungskraft abhängt als erwartet, wurde beim Erleben der unterschiedlichen frisch gebackenen Dirigentinnen und Dirigenten schnell deutlich (siehe Video).
Zu Beginn der Veranstaltung stellte Professor Dr. Heiko Roehl, Experte für Organisationsentwicklung, die Gemeinsamkeiten zwischen Dirigent:innen und Führungskräften heraus. Beide hätten für einen sicheren Rahmen zu sorgen, sollten ihrer Aufgabe mit Leidenschaft nachgehen und offen für unterschiedlichste Form von Feedback sein. Oft würden sogar Erwartungen formuliert, die es ernst zu nehmen gelte.
Diese Gemeinsamkeiten bildeten den Rahmen, um sich auf der Suche nach Lehren aus der Kunst für Führungskräfte zu begeben. Die Kunst der Führung eines/einer Dirigent:in bestehe darin, dass es gelingen müsse, 50 Klangkörper zu einem gemeinsamen Schwingen zu bringen, so der Dirigent des Luftwaffenmusikkorps Münsters Major Alexander Kalweit. „Man muss auf die kleinsten Reaktionen, sei es ein Lächeln oder ein Absetzen eines Instruments oder ein ‚Nicht ganz bei der Sache sein‘ im Orchester achten.“ Diesen Aspekt unterstrich auch Heiko Roehl. Nur selten würden Führungskräfte darauf geschult, einfach zuzuhören oder auf feinste Signale zu achten. Das sei aber die Grundlage, um tagesaktuell und wiederkehrend zu erfahren, was das Team brauche, um genau heute einen einmaligen Klang zu liefern. „Psychologische Sicherheit bildet den Rahmen für angstfreie Kommunikation, um gemeinsam das Beste zu erreichen“, so Roehl.
Schnell wurde außerdem deutlich, dass Führungskräfte im direkten Vergleich zu Dirigent:innen viel weniger Zeit für das Üben ihrer Tätigkeit aufwenden, aber auch einen ständigen Rollenwechsel erleben, der ein gutes Ausbalancieren zwischen Persönlichkeit und Rolle voraussetze. Ein Aspekt, den Jörg Habich in einer moderierten Diskussionsrunde mit dem Dirigenten des Luftwaffenmusikkorps und den Orchester-Musikern Noemi Gál und Holger Rethemeier vertiefte. Die daraus resultierende Quintessenz: Das reine Üben eines/einer Musiker:in könne nicht in Stunden gemessen werden, weil Üben auch unbewusst dann stattfindet, wenn man sich intensiv mit einem Musikstück beschäftigt. „Doch wann nehmen wir Führungskräfte uns im Unternehmensalltag tatsächlich einmal die Zeit, uns in unser Führungs-Studierzimmer zurückzuziehen?“, fragte ein Teilnehmer nachdenklich.
Zeit, um auch die Führungskräfte üben zu lassen, bot das Veranstaltungssetting genug. Wie herausfordernd war es nun schließlich für sie, das Gehörte in die Orchesterpraxis umzusetzen? Nach einem kurzen Warm-up durch Major Kalweit fanden sich die Führungskräfte in der Rolle des/der Dirigent:in wieder und hatten die Gelegenheit, sich praktisch auszuprobieren. Sie erlebten selbst, welche Kenntnisse und Fähigkeiten helfen, um eine solche Führungsaufgabe gut zu erfüllen und zogen daraus auch Lehren für den Unternehmensalltag. „Es kommt tatsächlich auf denjenigen an, der da vorne steht“, so einer der Teilnehmenden nach der Praxisphase des Workshops. Eine fundamentale Erkenntnis – obwohl ein Orchester komplett allein spielen kann, macht der/die Dirigent:in doch einen großen Unterschied aus. Er oder Sie bestimmt das Tempo, die Lautstärke, aber auch den gesamten Klang und gibt durch das Verhalten, durch Gestik und Mimik auch Richtungen vor. „Gute Musik kann man nicht befehlen! Es geht vielmehr um ein gemeinsames Verständnis der Musik aus einer Verbundenheit heraus“.
Dass Vertrauen und Authentizität, Ehrlichkeit, Verbundenheit und Verantwortung füreinander alles Erfolgsfaktoren eines Orchesters sind, wurde in dem Projekt jedem und jeder Beteiligten klar. In einem Orchester findet Kommunikation vornehmlich non-verbal statt, was die sehr feine Wahrnehmung aller Beteiligten schult. Führungskräfte in der Wirtschaft agieren hingegen sehr stark über das gesprochene Wort. Neben Sprache auch Mimik und Gestik stärker als Wahrnehmungsinstrument für den Führungsalltag zu nutzen und dafür zu sorgen, dass sich jede:r sicher fühlt, waren wichtige Erkenntnisse aus dem Workshop. In vielen Unternehmen reflektieren Führungskräfte bereits regelmäßig ihr eigenes Verhalten und ihre Wirkung, auch gemeinsam mit den Teams. Das Liz Mohn Center möchte diese Entwicklung unterstützen. Gegenseitiges, ehrliches Feedback und Räume für echten Dialog können ein wahrer Schlüssel für ein erfolgreiches Miteinander sein. In der Regel spiegelt sich dies auch im Erfolg eines Unternehmens wider.